#5 Der Einzelne und das Wir – Ein westliches Paradox

#5 Der Einzelne und das Wir – Ein westliches Paradox

von Ugur Erdem
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In einem kleinen Dorf in Ghana, etwa 90 Kilometer von Accra entfernt, gewann ein Mann vor einigen Jahren umgerechnet 75.000 Euro im Lotto. Was danach passierte, stand in keinem Finanzratgeber: Er bezahlte die Schulgebühren für 18 Kinder, spendete den Bau eines Brunnens, und investierte den Rest in eine kleine Bäckerei, die von vier Frauen aus der Nachbarschaft betrieben wird. Er lebt heute in einem ähnlichen Haus wie vorher. Sein Vermögen ist kleiner. Sein Ruf ist größer.

Ein paar Jahre zuvor, in einem Vorort von Frankfurt, gewann ein Mann die doppelte Summe. Nachbarn hörten nie wieder von ihm. Es wurde still im Haus – bis es irgendwann verkauft wurde. Beide Geschichten sind real. Und beide erzählen nicht von Geld, sondern von einem kulturellen Code: Was bedeutet "Erfolg"? Und: Für wen ist er gedacht?

In vielen westlichen Nationen ist Erfolg ein individuelles Narrativ. Man steigt auf, wird sichtbar, profiliert sich. Das Ich wird zur Marke. Die eigene Geschichte zum Kapital. Der Einzelne zum Event. "Du musst es wollen", heißt es. "Du musst dich zeigen." Und wer nicht mithält, hat eben nicht genug gewollt. In vielen afrikanischen, asiatischen oder arabischen Gesellschaften dagegen beginnt Erfolg erst dann zu glänzen, wenn andere mitstrahlen. Ein Fußballprofi aus dem Senegal, der seinen ersten Vertrag unterschreibt, weiß: Seine Karriere beginnt nicht im Stadion – sondern im Dorf, das ihn großgezogen hat. Viele dieser Spieler investieren in Infrastruktur, Schulen, medizinische Hilfe. Sie wissen: Ihr Talent gehört ihnen – aber ihre Chance verdanken sie vielen.

Und genau hier beginnt ein Paradox, das auch in modernen Organisationen sichtbar wird. Westliche Unternehmen verlangen Teamgeist. Sie wünschen sich Kollaboration, Kommunikation, gemeinsames Denken. Die Sprache ist kollektiv, die Meetings auch. Und doch: Befördert wird, wer sich profiliert. Belohnt wird, wer auffällt. Karrieren entstehen nicht im Wir, sondern im Ich. Das Ich spielt im Wir – aber zählt für sich. Diese kulturelle Spannung ist älter als es scheint. Schon die Soziologen der 1950er sprachen vom Übergang von Gemeinschaft zu Gesellschaft. Aber heute zeigt sie sich besonders deutlich: in Pflegeheimen, die das familiäre Netz ersetzen. In Altersvorsorgeplänen, die die Rolle der Kinder übernehmen. In Großstadtwohnungen, die für zwei gebaut sind – aber oft nur von einem bewohnt werden.

Und währenddessen: In Teilen der Welt, in denen Individualismus weniger glorifiziert wird, leben oft mehrere Generationen unter einem Dach. Pflege ist keine Dienstleistung. Sie ist eine Selbstverständlichkeit. Dort ist das „Wir“ keine romantische Idee. Es ist Alltag. Es wäre naiv, zu sagen: Das eine ist richtig, das andere falsch. Aber es ist aufschlussreich, zu beobachten, wie tief diese Unterschiede reichen – bis hinein in die Art, wie wir Arbeit denken. Und Erfolg. Und Zugehörigkeit.

Vielleicht ist das größte Missverständnis der modernen Arbeitswelt nicht technologisch. Sondern kulturell. Vielleicht liegt es darin, dass wir Gemeinschaft ins System schreiben – und Wettbewerb in die Belohnung. Vielleicht müssen wir nicht lernen, besser zu führen. Sondern neu zu fragen: Wofür eigentlich? Und: Für wen?

Denn am Ende zählt nicht, wie hoch du steigst. Sondern, wer dabei nicht verloren geht.

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Ugur Erdem
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